Katharina Löwenherz

Yoga und Sonderpädagogik

Kindergarten: ab welchem Alter sinnvoll und auch zumutbar?

Speziell junge Eltern stellen sich immer wieder die Frage, ab wann ihre Kinder für den Kindergarten bereit sind. Auf der einen Seite gibt es besorgte Eltern, die ein zu frühes „Weggeben“ unter Tags als kritisch betrachten. Andererseits sind Eltern – speziell Alleinerziehende – gezwungen, auf staatliche Hilfe in der Erziehung zurück zu greifen. Ob, und wenn ja, das ideal für die Entwicklung der Kinder ist, das ist gegenwärtig ein heiß diskutiertes Thema.

kindergarten ab welchem alter
Abbildung: Ab welchem Alter geben wir die Obhut unserer Kinder bedenkenlos in andere Hände?

Entscheidend ist die Frage nach der Notwendigkeit für eine möglichst frühe externe Kinderbetreuung

Letzten Endes liegt die Entscheidung für eine möglichst frühe externe Kinderbetreuung bei den Eltern. Diese Entscheidung sollte dem Kind zu Liebe nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Die langfristigen Folgen einer zu frühen „Weggabe“ der Kinder unter Tags sind oft vorab nicht abzuschätzen.

Kleinkinder unter 3 Jahren sind in gewissen essentiellen Bereichen der Außenwelt ohne den mütterlichen / väterlichen Schutz quasi auch schutzlos ausgeliefert. Selbst bestens ausgebildete Pädagog:innen sind mit dieser alltäglichen Herkules-Aufgabe, gleichzeitig bis zu 15 Kleinkinder betreuen zu müssen, oftmals heillos überfordert – selbst bei kleinsten Aufgaben, wie der Gang auf die Toilette, Essen, Trinken und sich mit der unmittelbaren Umwelt artgerecht auseinander zu setzen. Da kann es schon vorkommen, dass Kleinkinder in Bezug auf ihre Bedürfnisse auf der Strecke bleiben.

Eine Frage, die sich frischgebackene Eltern stellen dürfen: Muss ich meinem Kind das antun oder einem Risiko aussetzen?

Es geht in diesem Artikel nicht darum, die Fähigkeiten und Einsatzbereitschaft von Pädagog:innen zu hinterfragen, oder gar die Eltern zu kritisieren – ganz im Gegenteil: es geht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche von Natur aus gegebenen Gefahren auf unsere Kinder lauern, wenn wir sie zu früh aus der elterlichen Obhut entlassen.

Es ist eine Tatsache, dass alle Pädagog:innen aus reinstem Herzen nur das Beste für alle Kinder wollen, ansonsten würden sie diese Arbeit nicht machen. Es ist auch eine Tatsache, dass Eltern nur das Beste für ihre Kinder haben wollen und es ist auch nachvollziehbar, dass der Staat für in Not geratene Eltern eine möglichst frühe externe Kinderbetreuung anbieten will. Nur sollte dieses Angebot nicht acht- und sorglos in Anspruch genommen werden, da es eben auch Risiken birgt.

Warum sollte ein Kleinkind unter dem 3. Lebensjahr nur in wirklichen Notfällen aus der elterlichen Obhut entlassen werden?

Wenn man sich mit evidenzbasierter Entwicklungspsychologie beschäftigt, dann wird einem sehr schnell klar, warum in der Regel speziell – und in Bezug auf dieses Thema – das 3. Lebensjahr für Kleinkinder eine wesentliche Rolle in der Entwicklung des Kindes spielt. Bis zu diesem frühen Lebensabschnitt sind essentielle Entwicklungsprozesse im Kleinkind grundsätzlich so weit abgeschlossen, dass es unter optimalen Bedingungen (zB Kindergarten) möglich ist, das Kind unter Tags aus der elterlichen Obhut zu entlassen. Davor, speziell wenn das Kleinkind gewisse Entwicklungsschritte noch nicht abgeschlossen hat, kann es gefährlich sein, wenn das Kleinkind in speziellen Situationen auf sich alleine gestellt ist.

Wichtige Entwicklungsschritte sind beispielsweise die Entwicklung des Urvertrauens, welches nur in der elterlichen Obhut entstehen kann (Vorstellung eines imaginären Bandes zwischen Eltern und Kind), und die Entwicklung der Objektpermanenz (Personenpermanenz), welche dem Kind die Gabe verleiht, Dinge (Personen) als real anzuerkennen, welche sich momentan nicht im jeweils aktuellen Blickfeld befinden. Zudem kann sich ein Kleinkind noch nicht als eigenständige Person wahrnehmen. Es fehlt somit naturgemäß noch an ganz essentiellen Fähigkeiten für die Persönlichkeitsentwicklung.

In dieser kritischen Phase kann bei nicht artgerechter Behandlung sehr viel schief gehen, vor allem auch deswegen, weil man Defizite in diesen Bereichen nachträglich kaum bis gar nicht nachholen kann. Es liegt in der Natur des Menschen, dass wenn gewisse Entwicklungsschritte bis zu einem gewissen Alter nicht richtig abgeschlossen werden können, dass es nachträglich nicht mehr richtig erlernt werden kann.

Trugschluss Inselverhalten

Viele Kleinkinder haben Probleme in der externen Betreuungssituation (Kindergrippe, Kindergarten, …). Das typische Verhalten von etwa 2-jährigen Kindern in der Kinderkrippe lässt sich real so beschreiben:

  • Kinder spielen kaum miteinander, sondern meistens allein
  • oder sie scharen sich um eine Betreuerin, je nach Situation (Inselverhalten)

Beim Phänomen des Inselverhaltens lassen sich Kleinkinder in der Kinderbetreuungsgruppe gut anleiten und gehorchen, selbst wenn das zu Hause nicht funktioniert. Auf den ersten Blick wirkt das harmonisch und wird von Eltern gerne als positive Anpassungsfähigkeit sozialisierter Kinder anerkannt. Dieses Verhalten belastet jedoch die Kleinkinder übermäßig, was langfristig zu einer Überforderung mit verstärkter Unruhe führen kann.

Kann sich Ihr Kind schon als eigenständige Person wahrnehmen?

Ein grundsätzliches Problem wird nun schlagend, speziell dann, wenn Kinder sich noch nicht als eigenständige Person wahrnehmen können, und somit auch noch nicht die Fähigkeit besitzen, Situationen einzuschätzen um für sich einzuordnen. In dieser frühkindlichen Phase ist noch kein Bewusstsein vom eigenen Willen entwickelt. Auch die Gefühlswelt ist hier noch nicht unter Kontrolle.

Unsicherheit erfordert Orientierung

Bei offensichtlicher Unsicherheit versuchen sich Kinder intuitiv am nächsten verfügbaren Erwachsenen zu orientieren, um nicht die Orientierung zu verlieren. Steht in so einer Situation keine Bezugsperson zur Verfügung, so kommt es zwangsläufig beim Kleinkind zu einer extremen Stressreaktion (zB das Kind beginnt laut zu schreien und zu weinen).

Mögliche Folge in der Kleinkindergruppe

Nun ist bekannt, dass wenn ein Kind zu weinen beginnt, dass alle anderen anwesenden Kinder auch zu weinen beginnen, was für die zuständige Fachkraft auch zu Stress führen kann. Der Stress überträgt sich dann auf alle anwesenden Personen wie ein Virus. Das Weinen der anderen Kinder wird zudem auch gerne als soziales Verhalten missinterpretiert. Landläufig glaubt man, dass alle Kinder zu weinen beginnen, weil sie Mitleid mit dem ersten weinenden Kind haben. Tatsächlich handelt es sich dabei aber um ein frühkindliches Verhalten und eine Überlebensstrategie, um den eigenen Stress zu kompensieren.

Fazit

Kleinkinder sollten zur Sicherheit Ihrer Entwicklung frühestens ab dem 3. Lebensjahr aus der elterlichen Obhut entlassen werden. Die Kinderkrippen für Kinder unter drei Jahren beispielsweise sollten nur in Notfällen in Anspruch genommen werden, um dem Kleinkind die wichtigsten Bezugspersonen möglichst nicht wegzunehmen, und um die verfügbaren Betreuungsplätze in den Kindergrippen für die wirklich Bedürftigen zu erhalten. Schließlich liegt es auch in unserer Verantwortung, unser Sozialsystem nicht zu überlasten und so für mehr Qualität zu sorgen.

Auf Grundlage der menschlichen Entwicklungspsychologie

Wenn man sich näher mit Entwicklungspsychologie beschäftigt, weiß man, dass es nicht empfehlenswert ist Naturgesetze unserer menschlichen Entwicklung auszuhebeln und die Natur des Menschen zu manipulieren, aus was für einem Motiv auch immer.

Soziale Verantwortung und Inklusion

Eltern, die auf unser Sozialsystem angewiesen sind, und darauf zurückgreifen, sollten auch nicht als Rabeneltern abgestempelt werden. Gleichzeitig sollten sich hilfsbedürftige Eltern mit sozialer Schwäche aber auch nicht für Ihre Situation schämen müssen.

Differenzierung – wer ist auf das Sozialsystem angewiesen?

Eltern, die eigentlich nicht auf Kindergrippen angewiesen sind, sollten von dem Angebot Abstand halten, um – wie bereits erwähnt – die Ressourcen zu schonen. Eine Schonung der personellen Ressourcen im System dient letztendlich den Kindern, die dadurch eine bessere Betreuung erfahren. Man sollte sich auch gewisse Dinge in diesem Bereich nicht schönreden und realistisch betrachten.

Haben Sie Kinder, die professionelle Unterstützung benötigen? Oder wünschen Sie sich für sich selbst besondere Unterstützung und Rat bei der Erziehung Ihrer Kinder? Dann nehmen Sie einfach unverbindlich Kontakt zu mir auf. Gerne können wir über Ihre Möglichkeiten sprechen.

Katharina Löwenherz

Yoga und Sonderpädagogik